First Light

Rolf Scheffer

Wer von Martin Birkmaier ein Kind haben will, wartet vielleicht neun Monate. Ich aber wollte einen Dobson. Und das kann dauern bei ihm…

Rolf Scheffler mit neum ICS-Dobson
Rolf Scheffer mit seinem ICS 10" f/5 ATD

Zehn lange Monate waren schließlich ins Land gegangen, bis an einem heißen Juni-Samstag endlich die erlösende Nachricht aus Augsburg kam: »Er ist fertig!« Und so stand ich nun, ausgelaugt nach fünfstündiger schweißtreibender Autofahrt, vor dem gelb angestrichenen Flachbau, idyllisch gelegen zwischen Bahndamm und Friedhof. »INTERCON SPACETEC« prangte es, High-Tech verheißend, in aufgemalten Lettern am Eingang. »Martin Birkmaier, Dobson-Schmiede« wäre passender. Denn hinter den Pforten wähnte ich mich eher in der Atelier-Werkstatt eines Aktionskünstlers als in einem keimfreien Technik-Labor. In einer Ecke hockte ein ganzes Rudel unterschiedlicher Aluminium-Tuben. Kurz und lang, dick und ganz dick, teils roh, teils schon mattschwarz eloxiert. Ich konnte nicht widerstehen, gegen einige zu klopfen. Wie Glocken klangen ihre massigen Körper. Weiter hinten wartete eine große Platte Teflon darauf, in kleine Plättchen gestanzt für den optimalen »Flutsch« zu sorgen. In einem Nebenraum dämmerten schwere Spiegel in ihren hölzernen Schutzkisten dahin. Sorgfältig auf Paletten abgesetzt, träumten sie wohl vom großen Moment ihres »First Light«.

Und dann sah ich Martin Birkmaier. Die Schleifmaschine in der Hand, umtänzelte er eine Rockerbox, welche vor ihm auf einem Block festgespannt war. Hier und da setzte er das Werkzeug an, zwischendurch immer wieder zurücktretend, prüfend. Der Anblick erinnerte zwingend an einen Bildhauer, der letzte Hand an seine Skulptur legt. Wer mit solcher Hingabe arbeitet, dachte ich mir, der muß nicht nur zu dem Werkstück, sondern auch zu dem Material eine besondere Beziehung haben. »Birken-Multiplex-Platte, schichtverleimt«, begrüßte mich Meister Birkmaier dann auch, »das Beste, was es gibt!« Ehe ich mich versah, hatte er ein linealgroßes Stück eingespannt, so daß es wie ein Sprungbrett über den Rand der Werkbank herausragte. »Versuch’ mal, kaputtzuschlagen«, dröhnte er und gab mir einen Vorschlaghammer in die Hand. Ich wollte mich nicht lumpen lassen und haute drauf, so fest ich konnte.

Hammerhart

Der Vergleich mit dem Sprungbrett war treffend. Der Hammer schnellte wie ein Geschoß zurück und wäre mir fast aus der Hand gerissen worden. Das Holzstück aber hatte noch nicht einmal einen Kratzer. »Sag’ ich doch, kriegste nicht kaputt«, triumphierte Martin und begann nun seinerseits, auf den Teil der Leiste einzudreschen, der flach auf der Werkbank lag. Normales Holz wäre zu Brei geschlagen worden. Die Multiplex-Leiste wies nunmehr lediglich ein paar kleine Dellen auf. »Daraus mache ich meine Rockerboxen«, nutzte Martin den Eindruck dieser Vorstellung, »ohne eine einzige Schraube. Alles nur verleimt und die Oberflächen gewachst, nicht lackiert. Meine Dobsons sehen nach zehn Jahren Gebrauch nicht viel anders aus als am ersten Tag!«

Diese Eigenwerbung wäre nicht nötig gewesen, denn ich war bereits seit dem letzten ITT fest davon überzeugt, daß ein Birkmaier-Dobson mein absolutes Traumrohr ist. Dort, auf dem Dobratsch in Kärnten, zertrümmerte Martins 8 Zoll f/8-Dobson mein schönes refraktorphiles Fernrohr-Weltbild. Bis dato glaubte ich, nur Refraktoren lieferten die nötige Kontrastschärfe, um beim Planetengucken Freude aufkommen zu lassen. Hatte ich mich doch gerade noch an einem knackigen 6"-Apo-Saturn delektiert und das gleiche Objekt unmittelbar danach in einem doppelt so großen Spiegel blubbern sehen… Klar, ein Spiegel bringt’s eben nur bei Deep-Sky.

Schlüsselerlebnis

Ich weiß nicht mehr genau, warum ich dann durch diesen 8" Birkmaier-Dobson geguckt habe. Umso sicherer aber weiß ich, daß ich in keinem einzigen Teleskop je zuvor ein solch perfektes Abbild von Saturn betrachten konnte. Die armen Leute, die nach mir einen Blick auf den Planeten werfen wollten, mußten sich in Geduld üben. Ich konnte mich einfach nicht losreißen vom Okular. Was ich da sah, durfte eigentlich gar nicht sein! Wie war es möglich, daß ein Newton-Spiegel solche Kontrastschärfe liefert? Und einen Detailreichtum, daß es einen förmlich vom Beobachtungshocker reißt? Ich habe mich dann still in eine Ecke gesetzt und brauchte wohl eine halbe Stunde, um meine Fassung wiederzuerlangen und das Erlebnis zu verarbeiten. Danach war mir die logische Konsequenz klar: Du mußt jetzt zu diesem Mann gehen und einen Dobson ordern. Das tat ich.

Und so durfte ich an diesem heißen Junitag endlich mein Traumrohr in Empfang nehmen. Wie jeder von Martins Dobsons ein absolutes Unikat, maßgeschneidert auf die Anforderungen seines Besitzers. Bei mir hieß das: maximaler Seh-Spaß bei minimalem Streß, Auf- und Abbau in längstens 30 Sekunden, robust und kompakt (der Tubus muß quer auf die Rückbank meines Golf passen) und eine perfekte Optik mit ausreichend Öffnung für meine Deep-Sky-Exkursionen. Martin verordnete mir einen 10" f/4,8 ATD mit golfmäßig eingekürztem Tubus und Galaxy Premium-Spiegel.

Streicheleinheiten

Rolf Scheffler mit neum ICS-Dobson
ICS 10" f/4.8 ATD

Da stand er nun, der Dobson. Bin ich verrückt, weil ich unwillkürlich über den seidig mattschwarz eloxierten Tubus streicheln mußte? OK, ich bin verrückt. Aber ich weiß, daß es ein paar Leute gibt, die das genauso machen würden. Ein Birkmaier-Dobson ist nicht schön. Jedenfalls nicht, wenn man die sterile Ästhetik von Serienprodukten als Maßstab nimmt. Doch er hat Charakter und Individualität. Sein Tubus zeigt Macken und Riefen, die gegossenen Alu-DEC-Räder verraten ihren handwerklichen Herstellungsprozeß, die Rockerbox umfaßt den Tubus wie eine organische Form. Das Ganze wirkt wie eine freche Provokation. Ein Enfant Terrible, das all den schönen und teuren Edelfernrohren ans Stativbein pinkelt. Doch egal, wo man diesen Dobson anfaßt, man merkt, daß er bis ins kleinste Detail perfekt durchdacht ist — ein Materie gewordenes Abbild astronomischer Beobachtungspraxis.

Nachdem ich mich an seinem Anblick sattgesehen hatte, wollte ich natürlich auch den Durchblick genießen. Doch vor die visuellen Genüsse kommen bei Martin erst einmal die kulinarischen. Eine gesunde Einstellung, die bei ihm sichtbaren Ausdruck findet. So saßen wir kurze Zeit später auf der Terrasse eines italienischen Restaurants, vor uns je ein dunkles Weizenbier (wegen der Dunkeladaption) und über uns Augsburgs erstaunlich transparenter Abendhimmel. Martin kannte die Wirtin. Daß die Wirtin auch Martin kannte, bewies die Dimension der bestellten Nudelplatte (»Pasta della Casa«), deren Ausmaß in Bezug auf den Tisch sich so verhielt wie der Nordamerikanebel zum Gesichtsfeld eines 12er Ortho-Okulars.

Hygroskopischer Telrad-Sucher

 Entsprechend gestärkt, machten wir uns nun auf den Weg zu Martins »Hausberg«. Der Glückliche braucht nur etwa 30 Kilometer weit zu fahren. Dann ist er bereits in einer Gegend, wo sich Fuchs und Hase »Gute Nacht« sagen und die Astronomen vor Freude in die Luft springen: freie Sicht zum Südhorizont, im Umkreis von zehn Kilometern keine nennenswerte Zivilisation, windschützende Wäldchen im Osten und Westen. Die Rockerbox sprang aus dem Auto und pflanzte sich unweit davon auf ein ebenes Rasenstück. Der Tubus zappelte schon ungeduldig auf dem Rücksitz und gab erst Ruhe, als er es sich in der Rockerbox gemütlich machen durfte. Der Spiegel kochte noch. Er brauchte eine dreiviertel Stunde, bis er sich beruhigt hatte. Der Himmel war zwar wolkenlos, die Atmosphäre aber geschwängert mit Unmengen Wasser. Besonders deutlich wurde dies beim Blick durch den Telrad, dessen Scheibe sich alle drei Minuten vollgesogen hatte. Die ganze Feuchtigkeit des Himmels schien an diesem kleinen Glasstück zu kondensieren. Nach einer Stunde hatte der Telrad seine Arbeit erledigt, und der Himmel war klar. Wenn wir mehrere Telrads dabei gehabt hätten, wäre der Absaugprozeß vielleicht schneller gegangen.

Nun aber spannte sich ein Traum von Milchstraße über uns, am Schwan in zwei dicke Stränge auslaufend, an deren einem die mächtige Schildwolke hing. Was macht jemand, der zehn Monate lang auf zehn Zoll Öffnung gewartet hat? Er taucht seinen Dobson zum »First Light« in die Sternenfluten der Milchstraße. Wow! Als hätte jemand die Schatztruhe aus 1001 Nacht umgekippt. So prasselte ein nicht enden wollender Diamantenregen durch das Gesichtsfeld des 27er Panoptic, während ich den Schwan von Deneb bis hin zu Albireo entlangdobste. Schwan? Moment mal, da war doch was auf dieser Strecke — ach ja, NGC 6888, der Crescent-Nebel! Müßte kurz hinter dem ersten Drittel zwischen Gamma und Eta Cygni liegen. Kein Problem. OIII-Filter ins 27er Panoptic und mit dem Telrad locker anpeilen. Schon bloppt er ins Gesichtsfeld. Aber von wegen nur Crescent — deutlich sehe ich die sichelförmige Aufhellung des Nebels, aber da ist noch viel mehr: Als volle Scheibe zeigt sich das Objekt! Einfach unglaublich.

Blick aus dem Raumschiff

Die gute Durchsicht auch in Horizontnähe ließ einen Versuch mit M8 und M20 zu. Lagunen- und Trifidnebel, zwei Objekte, die ich zu Hause von meinem Solinger Standort aus erst garnicht aufsuche; den Frust muß man sich ja nicht antun. Hier aber zeichnen sich phantastische Nebelwolken ab, wie Kontinente aus einem Raumschiff heraus betrachtet. Ein erhabener Anblick.

Etwas weiter »oben links« muß auch M17 liegen. Das Aufsuchen mit Hilfe des Telrad ist kinderleicht. Ich hatte mir die Zielkreise vorher mit Hilfe einer von Martins Filmschablonen in die Sternkarte eingetragen. Im 15er Panoptic mit OIII-Filter bietet der Omega-Nebel einen phantastischen Anblick. Wie ein Schwan hebt sich der helle Bereich vom Hintergrund ab, eingebettet in zarte Nebelhüllen. Mit dem 7er Nagler sind sogar Strukturen zu erkennen.

Cirrusnebel — die Dröhnung

Jetzt wurde es Zeit für die Kracher. Cirrusnebel. Telrad auf 52 Cygni eingestellt, 27er Panoptic in den Okularauszug, und schon ist sie da: die Schwinge des Sturmvogels! Wie habe ich mir früher »die Ohren abgebrochen«, wenn ich das Objekt mit kleiner Öffnung einzustellen versuchte. Ohne OIII-Filter war rein garnichts zu sehen. Und jetzt, mit 10 Zoll, tritt das Objekt selbst ohne Filter so deutlich hervor, daß ich mich frage, was daran denn je so schwierig gewesen sein soll.

Sei’s drum, jetzt brauchte ich die volle Dröhnung. Also: OIII-Filter rein und draufhalten. Zing! — Wie ein harter Kreidestrich kreischt der Sturmvogel quer durchs Gesichtsfeld. So etwas hatte ich noch nicht gesehen. Ich traute meinen Augen nicht. Wenn der Sturmvogel schon so kommt, wie muß dann erst der andere Teil des Cirrusnebels, NGC 6992, aussehen? Ich dobse ein wenig in Flugrichtung des Sturmvogels. Da! Schon springt mich NGC 6992 an. Groß, hell, deutlich. Das muß ich mir näher ansehen. »Schwester, 15er Panoptic bitte, Klammer und Tupfer!« Mein Gott, wie sieht das Teil aus! Netzartige Strukturen, der obere Bereich auslaufend wie die knöchrige Hand einer Hexe. »Knusper, Knusper, Knäuschen, der Kontrast bringt mich schier aus dem Häuschen!« fällt mir ein. Ist das ein astronomischer Märchenwald? Hat mir da jemand ein Dia vors Okular geschoben? Oder sehe ich das tatsächlich live? Zurück zum Sturmvogel. Halt! Was ist das? Ist es denn wahr? Der Mittelteil des Cirrusnebels, dieser ausgedehnte Nebelstreifen, der noch nicht einmal eine NGC-Nummer hat, stoppt meinen Tubus. Ich beginne, ihn von unten nach oben abzufahren. Es gelingt mir tatsächlich, ihn fast bis zur Spitze des Sturmvogels zu verfolgen! Und nochmal durch NGC 6960. Jetzt nehme ich mir mehr Zeit. Nicht zu glauben: Strukturen ohne Ende in der Schwinge des Sturmvogels. Welch ein Objekt! Welch ein Fernrohr! Ich fühle mich wie in einem Rausch.

Als wär’s ein Teil von mir…

Dieser Dobson ist mir vom ersten Moment an so vertraut, als hätte ich schon jahrelang damit beobachtet. Die intuitive Art, wie man Himmelsobjekte mit einem Dobson und dem Telrad-Sucher auffindet, macht visuelles Beobachten zu einem unbeschwerten Vergnügen. Selbst im Zenit ist der Dobson problemlos manövrierfähig, denn Martin verpaßte ihm am oberen Tubusende zwei griffige Steuerbälle. So hat man auch in der kritischen Zenitstellung volle Kontrolle über die Nachführung.

Meine Begeisterung über das neue Teleskop geriet zur Plage für meinen Sternfreund Norbert. Kaum war ich und der Dobson zu Hause angekommen, nervte ich Norbert so lange mit meinem Lobgesang, bis er versprach, bei nächster Gelegenheit gemeinsam mit mir zu spechteln. Um unseren Beobachtungsplatz im Sauerland zu erreichen, müssen wir 120 Kilometer weit fahren. Aber es lohnt sich: Ein traumhaft einsam gelegenes Fleckchen, hoch genug, um dem Dunst zu entkommen, windgeschützt und stockfinster. Auch hier prangte das Band der Milchstraße eindrucksvoll über unseren Köpfen. Eigentlich wollte ich in dieser Nacht systematisch ein paar vorher ausgewählte Objekte beobachten. Statt dessen stürzten wir uns ganz undiszipliniert in die Sternenfülle. Als wollten wir ausgehungert einen Delikatessenladen plündern, schwelgten wir im verschwenderischen Objektreichtum des Sommerhimmels.

Verborgene Schätze

 »Guck doch mal, ob Du die Dunkelwolken bei Gamma Aquilae siehst«, forderte Norbert mich heraus. Diese Objekte mit dem geheimnisvollen Namen Barnard 143/142 waren mir bislang nur aus den beeindruckenden Erzählungen bekannt, welche beneidenswerte Anrainer einsam gelegener Bauernkäffer zum besten gaben. »Stell’ Dir eine Uhr vor, die halb zwei anzeigt«, meinte Norbert, »das Zentrum ist Gamma Aquilae, der Minutenzeiger ist Atair. Dann sind Barnard 143/142 genau an der Spitze des Stundenzeigers«. Auf diesen Punkt zielte ich mit dem Telrad. Volltreffer! Im 35er Panoptic wurde es richtig dunkel. Merkwürdige Gegend. Drumherum Sterne in Hülle und Fülle und dann plötzlich Leere. Als ob die Sterne in ein Loch gefallen wären.

M51 — ein weiteres Objekt, dessen Form ich immer nur auf Fotos bestaunt habe. »Whirlpool-Galaxie« — ein hochtrabender Name für das Winz-Wölkchen, dessen Spiralstruktur mir visuell im Vierzöller stets verborgen blieb. Jetzt aber guckten zehn Zoll bei 171-facher Vergrößerung in einen kristallklaren Himmel. Hossa! Das Ding scheint ja wirklich zu wirbeln! Richtig spiralig!

Basel 1 und wilde Enten

 »Kennst Du Basel 1?« Norbert liebt diese subtilen Dingerchen. »Steht ganz in der Nähe von M11, dem Wild Duck Cluster.« Die Wildenten haben’s mir angetan. Wunderschön im 7er Nagler! Ein heller Stern am Rand und eine Armada von feinen Sternchen. Das Ganze annähernd quadratisch mit einer herzförmigen Einbuchtung am gegenüberliegenden Rand. Eine Wildente aber vermag ich beim besten Willen nicht zu erkennen. Also gut, dann eben Basel 1. Uranometria ist der Shell-Atlas der Hobbyastronomen. Und das 27er Panoptic ist der Suchscheinwerfer. Ein kurzer Dobs nach »oben rechts«, und Norbert ist glücklich. Der kleine Offene Sternhaufen ist ein wenig schwach auf der Brust, aber man muß ihn halt mal gesehen haben.

Nebelchen, Nebel und Nebelmassen

 Solchermaßen sensibilisiert, empfiehlt sich der Konsum von Planetarischen Nebelchen. Wir entschieden uns für den telradfreundlichen NGC 7008. Von Gamma über Alpha Cygni zielen, die gleiche Strecke verlängern, von diesem Punkt aus Richtung »halb zwei«, nochmal knapp diese Strecke. Teilkreise? Wozu? Der Telrad ist einfach schneller! Im 27 Panoptic mit OIII-Filter ist der PN sofort eindeutig auszumachen, frei zum Abschuß im 7er Nagler. Toll: Ein rauchiges Scheibchen klebt an einem hellen Stern. Eine Hälfte des Scheibchens ist wesentlich heller, die Form erinnert an den abnehmenden Mond kurz nach dem letzten Viertel. In diesem hellen Bereich sind zwei Lichtknubbel zu sehen, der eine an der dem Stern gegenüberliegenden Sichelspitze, der andere etwas oberhalb des »Äquators« ganz am Rand. Strukturen in einem kleinen Planetarischen Nebelchen — von sowas habe ich früher nur geträumt!

Allenfalls dem Hantelnebel M27 konnte ich mit meinen damals vier Zoll Öffnung ähnliches entlocken. Was der wohl im Dobson sagt? Um es kurz zu machen: Bereits ohne OIII-Filter war nicht nur die Hantel zu sehen, sondern auch die »Ohren«. Und nachdem ich den Nebelfilter eingeschraubt hatte, erschien mir die Verwendung einer Sonnenbrille nicht abwegig, so hell war das Objekt!

Blitzlicht in der Bucht von Mexico

 Norbert und ich merkten: Dies war eine ganz besondere Nacht. Irgendwie war heute alles Unmögliche möglich. So kam ich auf die verwegene Idee, dem Nordamerikanebel visuell zu Leibe zu rücken. Ein so dicker Brocken braucht schweres Geschütz. Bestückt mit einem OIII-Filter, wurde das 35er Panoptic in den Crayford-Fokussiertrieb gewuchtet. Und tatsächlich: Wie ausgestanzt hob sich die »Bucht von Mexico« vor der hellen Nebelfülle des Hintergrundes ab. Darin waren deutlich Strukturen zu erkennen, besonders wenn man den Nordamerikanebel entlangfuhr. Ich beugte mich gerade über den Dobson, um das 27er Panpotic aus dem Okulartrog zu holen, als hinter mir ein Blitzlicht aufleuchtete. »Welcher Idiot knipst denn hier mitten in der Nacht herum?« schoß es mir durch den Kopf. »Da!« schrie Norbert, als hätte er den Leibhaftigen gesehen, »Guck Dir das an!« Ich wußte erst garnicht, was er meinte. Hektisch riß Norbert sein Fernglas hoch: »Ein Bolide! Der ist gerade explodiert! Schau Dir diese Rauchspur an!« Jetzt sah ich es auch. Wie ein dicker, dichter Kondensstreifen markierte eine Rauchspur die letzten Kilometer der langen Reise eines kosmischen Gesteinsbrockens. Überraschend schnell wurde sie vom Höhenwind deformiert und aufgelöst. Wir konnten es garnicht fassen, daß solch ein Ding so hell sein kann. Ein frühreifer Super-Perseïd.

Nachdem wir uns wieder beruhigt hatten, steckte ich das 27er Panoptic in den Okularauszug. Mir war da nämlich nahe beim Nordamerikanebel etwas aufgefallen. So eine kompakte schwache Nebelmasse. Die wollte ich mir mal bei etwas höherer Vergrößerung ansehen. Sollte das etwa…? Es sollte! Der Pelikannebel! Visuell! Deutlich: Kopf, Schnabel, Körper. Es war, als ob mir jemand nach jahrelanger Blindheit die Augen geöffnet hätte. All diese Objekte, sie sind sichtbar, zum Greifen nah, real vorhanden, hier in meinem Okular! Ich fand es fast arrogant, wie Martin in seinem Prospekt schrieb: »Visuelle Beobachtung macht erst ab acht Zoll Sinn!« Nun weiß ich, daß er recht hat. Allerdings mit einer Einschränkung: Ich würde den Anblick dieser Objekte niemals so zu schätzen wissen, wenn ich nicht die Erfahrung gemacht hätte, sie mit kleiner Öffnung nur schemenhaft oder garnicht zu sehen.

Die Erde duftet…

Wir beobachteten in dieser Nacht noch viele Deep-Sky-Objekte, und immer wieder zog mich die überirdische Schönheit der fernen Welten in ihren Bann, die da still das Gesichtsfeld meines Okulars durchschwebten. Erst kaum merklich, dann immer deutlicher kündigte sich der nahende Morgen an. Der erste Vogel rief. Plötzlich war die Luft von einem intensiven, erdigen Duft erfüllt. Mehr und mehr gab die Dämmerung bisher verborgene Konturen der Landschaft um uns frei. Wir standen da und ließen uns in den erwachenden Tag gleiten. Wir fühlten uns wie ein Teil der Natur, die uns umgab. Und wir spürten eine grenzenlose Freiheit und Weite.

Auf der Heimfahrt begegneten uns die ersten Pendler — Boten des Alltags, der Zivilisation. Irgendwie fühlten wir uns ihnen gegenüber wie Sehende unter Blinden. Während sie gepennt haben, durften wir eine Reise in die Unendlichkeit machen, durften Dinge sehen, welche diese Leute sich in ihren schönsten Träumen nicht ausmalen können, durften Zusammenhänge begreifen, welche die meisten von ihnen nicht erahnen. Welch schönes Hobby haben wir! Was gibt es sinnvolleres, als einem Menschen die Augen für die Natur zu öffnen? Wir dürfen das Geheimnis nicht für uns behalten…